Earned Value Analyse: So funktioniert's

von Jörg Friedrich

Kurz und bündig

Die Earned Value Analyse (EVA) ist eine Methode für das Projekt-Controlling. Sie verbindet geplante und tatsächliche Leistung sowie Kosten eines Projekts. Damit wird frühzeitig und gestützt auf harte Daten sichtbar, ob ein Projekt im Zeit- und Budgetrahmen liegt.

Sie wollen Ihre Projekte besser steuern, Kosten im Griff behalten und Zeitverluste vermeiden? Dann sind Sie bei der Earned Value Analyse (EVA) genau richtig. Sie stoßen auf diese Projektmanagement-Methode auch unter den Bezeichnungen Leistungswert-Methode und Earned Value Management. Dieses Werkzeug erfordert einen kleinen Mehraufwand im Projektmanagement, aber es ist genial. Schauen wir uns mal an, wie Sie die EVA nutzen können, um sich einmal mehr als erfolgreicher Projektmanager zu empfehlen.

Vorher werfen wir noch einen kleinen Blick zurück: Die Methode der Earned Value Analyse hat ihre Ursprünge im amerikanischen Verteidigungssektor der 1960er Jahre. Sie wurde eingeführt, um große und komplexe Projekte besser kontrollieren zu können. Die Regierung wollte sicherstellen, dass Zeitpläne eingehalten und Steuergelder effizient verwendet werden. Ziel war es, eine standardisierte Methode zu schaffen, die Fortschritte misst und sowohl zeitliche als auch finanzielle Abweichungen sichtbar macht. Dieses Konzept wurde schnell zu einem Vorbild für andere Branchen, die ebenfalls mit großen Projektbudgets und engen Zeitvorgaben arbeiten.


Was ist die Earned Value Analyse?

Die Earned Value Analyse ist keine Raketenwissenschaft – auch wenn sie häufig bei technischen Projekten eingesetzt wird. Im Kern geht es darum, den Fortschritt eines Projekts zu messen, indem Kosten, Zeit und Leistung in Beziehung gesetzt werden. Sie kombiniert die geplante Arbeit, die geleistete Arbeit und die dafür aufgewendeten Mittel in einer einzigen Methode.

Stellen Sie sich vor, Sie bauen ein Haus. Sie planen, in der ersten Woche das Fundament zu legen. Dafür haben Sie 5.000 Euro veranschlagt. Nach einer Woche stellen Sie fest, dass das Fundament fertig ist, aber es hat 6.000 Euro gekostet. Wo stehen Sie? Und wieviel wird voraussichtlich das komplette Haus kosten? Es wird ja wahrscheinlich nicht bei den 1.000 Euro Mehrkosten bleiben, oder? Genau hier setzt die EVA an – sie hilft Ihnen, solche Situationen zu bewerten.

Die Methode ist nicht nur theoretisch fundiert, sondern hat sich in unzähligen Projekten bewährt. Sie eignet sich für kleine wie große Projekte und liefert konkrete Antworten auf die Frage, wie es um Zeit und Kosten steht. Wichtig ist nur: Sie müssen die Grundlagen verstehen, bevor Sie die EVA erfolgreich anwenden können.


Warum ist die Earned Value Analyse wichtig?

Projekte ähneln in gewisser Hinsicht Segelbooten: Ohne klare Steuerung und ständige Kontrolle der Einflussgrößen verlieren sie schnell die Richtung. Die EVA bietet genau diese Steuerung.

Mehr Transparenz

Mit der EVA wissen Sie jederzeit, wo Ihr Projekt steht. Sie sehen nicht nur, wie viel Sie ausgegeben haben, sondern auch, ob diese Ausgaben im Verhältnis zur erbrachten Leistung stehen. Kein Rätselraten, keine Bauchentscheidungen.

Diese Transparenz hat noch einen weiteren Vorteil: Sie können Ihren Stakeholdern fundierte Berichte liefern. Wenn jemand fragt, warum das Projekt mehr kostet als erwartet, haben Sie die Antworten parat. Das schafft Vertrauen und reduziert Konflikte.

Frühzeitige Warnsignale

Eine meiner größten Lektionen als Projektmanager? Probleme frühzeitig zu erkennen ist der Schlüssel. Mit der EVA können Sie Abweichungen schnell identifizieren und gegensteuern, bevor Ihr Projekt aus dem Ruder läuft.

Ein Beispiel aus der Praxis: In einem Projekt zur Entwicklung eines neuen Maschinenmodells fielen schon nach wenigen Wochen erhöhte Materialkosten auf. Dank der EVA konnten wir den Fehler in der Planung schnell finden und beheben. Ohne diese Methode hätten wir erst viel später reagiert – wahrscheinlich zu spät.

Objektive Entscheidungsgrundlagen

Viele Entscheidungen im Projektmanagement basieren auf Annahmen. Die EVA reduziert dieses Risiko. Durch die klare Darstellung von Ist-Zahlen und Abweichungen können Sie fundierte Entscheidungen treffen. Das ist besonders wichtig, wenn es um Budgeterhöhungen oder Zeitverlängerungen geht.


Wie funktioniert die Earned Value Analyse?

Die EVA basiert auf drei zentralen Größen. Keine Sorge, es ist einfacher, als es klingt.

Planned Value (PV)

Der Planned Value ist der Wert der Arbeit, die Sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geplant haben. Beispiel: Zurückkommend auf Ihren Hausbau wollten Sie nach zwei Wochen 50% des Fundaments fertig haben. Das entspricht einem Planned Value von 2.500 Euro.

Ein geplanter Wert gibt Ihnen eine Grundlage, um Ihre Fortschritte zu bewerten. Es ist wichtig, dass Sie den PV in Ihrem Projektplan festhalten.  Sie sollten ihn nur dann ändern, wenn sich die Voraussetzungen ändern, unter denen Sie den ursprünglichen Plan entworfen haben.

Earned Value (EV)

Der Earned Value gibt an, wie viel Arbeit Sie tatsächlich abgeschlossen haben – gemessen in Arbeitszeit oder finanziellen Größen. Wenn nach zwei Wochen 40% des Fundaments fertig sind, entspricht der Earned Value 2.000 Euro.

Der Earned Value ist der Dreh- und Angelpunkt der Analyse. Er gibt Ihnen eine klare Vorstellung davon, ob Sie die geplante Leistung erreicht haben oder nicht.

Actual Cost (AC)

Die Actual Cost sind die tatsächlich entstandenen Kosten. Wenn Sie bis zu diesem Punkt 3.000 Euro ausgegeben haben, ist das Ihr AC.

Das Besondere an den AC ist, dass sie direkt messbar sind. Es gibt keinen Interpretationsspielraum, sondern nur klare Zahlen.

Die Magie der Kombination

Wenn Sie diese drei Werte miteinander vergleichen, erhalten Sie ein umfassendes Bild Ihres Projekts. Liegen Sie über oder unter Plan? Und sind Ihre Ausgaben gerechtfertigt? Genau das wollen Sie wissen, um Ihr Projekt sicher zu steuern.

Earned Value Analyse

Ein ausführliches Beispiel zur Veranschaulichung

Nehmen wir an, Sie leiten ein Softwareentwicklungsprojekt. Ihr Ziel ist es, in drei Monaten eine neue App zu entwickeln. Das Gesamtbudget beträgt 150.000 Euro. Nach einem Monat haben Sie 50.000 Euro ausgegeben. Laut Ihrem Plan sollten Sie zu diesem Zeitpunkt 40% des Projekts abgeschlossen haben (Planned Value = 60.000 Euro). Ihre Entwickler berichten jedoch, dass nur 30% der Arbeit erledigt ist (Earned Value = 45.000 Euro).

  1. Cost Variance (CV): EV - AC = 45.000 - 50.000 = -5.000 Euro. Das Projekt ist kostenintensiver als geplant.
  2. Schedule Variance (SV): EV - PV = 45.000 - 60.000 = -15.000 Euro. Das Projekt liegt hinter dem Zeitplan.
  3. Cost Performance Index (CPI): EV / AC = 45.000 / 50.000 = 0,9. Pro ausgegebenem Euro erhalten Sie nur 90 Cent an Wert.
  4. Schedule Performance Index (SPI): EV / PV = 45.000 / 60.000 = 0,75. Sie haben 75% der geplanten Arbeit abgeschlossen.

Diese Zahlen zeigen Ihnen deutlich, dass das Projekt sowohl zeitlich als auch finanziell hinterherhinkt. Mit diesen Informationen können Sie gezielt Maßnahmen ergreifen, etwa Ressourcen umverteilen, den Zeitplan anpassen oder die Kostenstruktur überprüfen. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die EVA Ihnen dabei hilft, fundierte Entscheidungen zu treffen und Ihr Projekt wieder auf Kurs zu bringen.


Welche Kennzahlen sind entscheidend?

Hier kommt der spannende Teil. Mit den Kennzahlen der EVA verwandeln Sie rohe Daten in handfeste Erkenntnisse.

Cost Variance (CV) und Schedule Variance (SV)

  • Cost Variance (CV): EV - AC Überraschend hohe Kosten? Eine negative CV zeigt Ihnen, dass Sie über Budget liegen.
  • Schedule Variance (SV): EV - PV Verzögerungen? Eine negative SV bedeutet, dass Sie hinter dem Zeitplan zurückbleiben.

Cost Performance Index (CPI) und Schedule Performance Index (SPI)

  • CPI: EV / AC Ein Wert unter 1 zeigt an, dass Ihr Projekt kostenintensiver ist als geplant.
  • SPI: EV / PV Ein Wert unter 1 bedeutet, dass Ihr Projekt hinter dem Zeitplan liegt.

Ein Beispiel aus meinem Alltag: In einem Anlagenbauprojekt stellten wir fest, dass unser SPI bei 0,8 lag. Das bedeutete, dass wir nur 80% der geplanten Arbeit in der vorgesehenen Zeit abgeschlossen hatten. Diese einfache Erkenntnis half uns, die Ursache zu identifizieren und das Team neu zu priorisieren.

Prognose und Kontrolle

Die Kennzahlen der EVA sind nicht nur hilfreich, um den aktuellen Stand zu verstehen. Sie sind auch ein wertvolles Instrument, um Prognosen zu erstellen. Wenn Ihr CPI konstant bei 0,9 liegt, wissen Sie, dass Sie voraussichtlich 10% über Budget liegen werden. Mit dieser Information können Sie frühzeitig gegensteuern.


Wie wird die EVA in der Praxis eingesetzt?

Die Theorie ist spannend, aber wie setzen Sie die EVA konkret um? Hier ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung:

1. Projektplanung

Ohne einen soliden Plan ist die EVA nutzlos. Definieren Sie klare Arbeitspakete, Zeitpläne und Budgets. Jede Aufgabe sollte messbar sein. Die Planung ist das Fundament der EVA. Ohne klare Ziele können Sie keine Abweichungen messen.

2. Regelmäßige Datenerfassung

Erfassen Sie den Fortschritt Ihrer Aufgaben, die aufgewendeten Kosten und die erreichten Meilensteine. Ohne aktuelle Daten ist die EVA wie ein Kompass ohne Nadel. Stellen Sie sicher, dass Ihre Teams geschult sind und wissen, wie sie die notwendigen Daten liefern.

3. Analyse und Maßnahmen

Nutzen Sie die Kennzahlen, um Probleme zu identifizieren. Liegt Ihr CPI unter 1? Dann suchen Sie nach Einsparmöglichkeiten. Ist Ihr SPI kritisch? Finden Sie heraus, warum der Zeitplan nicht eingehalten wird. Die Analyse ist ein fortlaufender Prozess. Sie müssen flexibel genug sein, um auf Veränderungen zu reagieren.

4. Kommunikation

Die EVA ist nur so effektiv wie die Art und Weise, wie Sie ihre Ergebnisse kommunizieren. Stellen Sie sicher, dass alle Stakeholder die Berichte verstehen und wissen, welche Konsequenzen die Ergebnisse haben.


Welche Tools unterstützen die EVA?

Ein guter Kapitän braucht die richtigen Instrumente. Gleiches gilt für Projektmanager. Hier sind einige der besten Tools für die EVA:

  • MS Project: Perfekt für umfassende Projektpläne.
  • Primavera P6: Ein Favorit bei großen technischen Projekten.
  • Allegra: Hidden Champion für pragmatisches Projektmanagement
  • Excel: Für kleinere Projekte oft ausreichend – vorausgesetzt, Sie beherrschen die Formeln.

Tipp:

Probieren Sie verschiedene Tools aus und finden Sie heraus, welches am besten zu Ihrem Stil und Ihrem Projekt passt. Denken Sie daran, dass das Tool nur so gut ist wie derjenige, der es benutzt.


Welche Fehler sollten vermieden werden?

Die EVA ist nur so gut wie die Daten, die Sie eingeben. Hier sind einige typische Fehler und wie Sie sie vermeiden:

  • Unklare Zieldefinitionen: Ohne klare Ziele wissen Sie nicht, was Erfolg bedeutet.
  • Fehlerhafte Datenerfassung: Ungenaue oder verspätete Daten machen die EVA wertlos.
  • Ergebnisse ignorieren: Die besten Analysen bringen nichts, wenn Sie nicht darauf reagieren.

Einmal vergaß ich, ein Teammitglied zu schulen, wie man Fortschrittsdaten korrekt meldet. Das Ergebnis? Falsche CV- und SPI-Werte, die uns fast eine Woche kosteten, um sie zu korrigieren.

Kontinuierliche Verbesserung

Die EVA ist ein Lernprozess. Nutzen Sie die Erfahrungen aus jedem Projekt, um Ihre Methoden zu verbessern. Fehler sind unvermeidlich, aber sie bieten auch die besten Lektionen.


Vergleich mit Burn-Down-Charts und Meilensteintrendanalyse

Die Earned Value Analyse (EVA) ist ein effektives Werkzeug, aber wie schneidet sie im Vergleich zu anderen verbreiteten Methoden wie Burn-Down-Charts und der Meilensteintrendanalyse ab? Werfen wir einen genaueren Blick darauf.

Burn-Down-Charts

Burn-Down-Charts sind besonders in agilen Projekten beliebt. Sie visualisieren, wie viel Arbeit übrig bleibt, und helfen dabei, den Fortschritt gegenüber der geplanten Zeit zu verfolgen. Der Vorteil: Sie sind einfach zu erstellen und leicht zu interpretieren. Allerdings fehlt ihnen oft die Tiefe, die die EVA bietet. Ein Burn-Down-Chart zeigt Ihnen nicht, ob Sie Ihr Budget überschreiten oder ob Ihre Kosten im Verhältnis zur Leistung stehen. In einem komplexen Projekt können solche Informationen entscheidend sein.

Meilensteintrendanalyse

Die Meilensteintrendanalyse konzentriert sich auf die Einhaltung von Meilensteinen und deren Termintrends. Sie ist ideal, um zeitliche Verzögerungen zu erkennen und ist besonders hilfreich bei Projekten mit klar definierten Etappen. Was ihr jedoch fehlt, ist die Integration von Kostendaten. Die EVA geht hier einen Schritt weiter, indem sie Kosten- und Zeitabweichungen miteinander verknüpft und so ein umfassenderes Bild liefert.

Fazit

Während Burn-Down-Charts und Meilensteintrendanalyse einfache und spezifische Werkzeuge sind, bietet die EVA eine tiefere Analyse, die Kosten, Zeit und Leistung kombiniert. Die Wahl des richtigen Werkzeugs hängt letztlich von den Anforderungen Ihres Projekts ab. In vielen Fällen kann eine Kombination aus Methoden den größten Nutzen bringen.


Wie überzeugt man Stakeholder von der EVA?

Nicht jeder liebt Zahlen und Analysen. Die EVA erfordert die Erhebung und Beobachtung ein paar zusätzlicher Daten, die von Ihren Projektmitarbeitern eigepflegt werden müssen. Diese sehen vielleicht nicht immer den Nutzen für sich selbst. Hier sind ein paar Tipps, um Stakeholder zu gewinnen:

  • Erklären Sie den Nutzen: Zeigen Sie, wie die EVA Kosten senkt und Risiken reduziert.
  • Visualisieren Sie die Daten: Ein einfacher Chart sagt oft mehr als tausend Worte.
  • Liefern Sie Ergebnisse: Zeigen Sie anhand von Beispielen, wie die EVA Ihr Projekt verbessert hat.

Beispiele als Schlüssel

Präsentieren Sie konkrete Erfolgsgeschichten. Menschen lassen sich leichter von Zahlen überzeugen, wenn sie sehen, wie diese in der Praxis genutzt wurden. Erzählen Sie von Projekten, die dank der EVA besser liefen.


Fazit

Die Earned Value Analyse ist kein Allheilmittel, aber ein unverzichtbares Werkzeug für Projektmanager, die den Erfolg ihres Projekts sichern wollen. Mit klaren Zahlen, ständiger Überwachung und rechtzeitigen Maßnahmen bleiben Sie auf Kurs – egal, wie stürmisch das Projekt wird.

Nehmen Sie sich die Zeit, die EVA in Ihre Projekte zu integrieren. Ihre Projekte – und Ihr Team – werden es Ihnen danken. Und vergessen Sie nicht: Jeder Schritt zur Verbesserung macht Sie zu einem noch besseren Projektmanager.

Jörg Friedrich

Senior Advisor
Jörg Friedrich ist der ursprüngliche Autor der Projektmanagement-Software Allegra und begleitet die Entwicklung bis heute. Er hat viele Jahre Industrieerfahrung als Projekt- und Abteilungsleiter. Er ist darüber hinaus als Professor in der Fakultät Informatik und Informationstechnik an der Hochschule Esslingen tätig.

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